erschienen in KP 26/2017

Auslaufmodell Partei. Bewegung und Führer als neues Politikmodell auch in Österreich

Nicht rechts, nicht links – was dann?

Es begann in den 1920er Jahren, dass gegen die auch damals schon als traditionell geltenden Parteien Bewegungen in Stellung gebracht wurden, deren Inhalte sich von den bekannten Parteiprogrammen unterschieden. Der auffälligste und wohl auch wichtigste Unterschied war, dass die Bewegungen vorgeblich den Partikularismus überwinden wollten, der das Volk, die Nation, die Gesellschaft spaltete und dem Staat und seinen Bürokraten, Politikern und ähnlichen Charaktermasken Korruption und Zugriff auf das Volksvermögen erlaubte.

Historische Vorbilder gab es mit Napoléon I. und III., ebenso mit Wilhelm II., der angesichts des Ausbruch des Großen Kriegs auch nur noch Deutsche sah und Parteien nicht mehr wahrnahm. Sich von Parteien abzuwenden oder diese Abwendung zu propagieren, hatte seine ideologische Funktion und öffentlichkeitswirksame Begleitmusik. Nationales Interesse wurde in Anschlag gebracht, das ansonsten von den Spaltern unentwegt verraten würde, oder auch die Vergeudung von Volksvermögen durch ökonomische Parasiten oder politische Parteibürokraten, die sich alle auf Kosten des Lebensunterhalts der kleinen Menschen bereicherten, ohne sich um die Lösung der anstehenden Probleme wirklich zu kümmern.

Parallel dazu wurden die Kategorien, nach denen sich die Parteien in der politischen Auseinandersetzung formierten, herabgesetzt und verächtlich gemacht. Die Klassen, also die gesellschaftlichen Interessen, die diese Parteien bedienten und vertraten, wurden ihres sozialen Inhalts beraubt und als Charaktermasken denunziert. Ihre Punzierung, ihre Eigen- oder Fremddarstellung als links oder rechts, wurde als inhaltsleer abgewertet. Dem wurde die Einheit gegenübergestellt, als deren Garant ein Führer, manchmal auch eine Führerin angesehen wurde, sowie dessen auf ihn eingeschworener Machtapparat.

Die Apparate der FührerInnen bedienten sich dabei der formalen Hülle von Parteien, ihrer Symbolik, ihrer organisatorischen Traditionen, ihrer pädagogischen Strukturen und ihrer Mobilisierungspotenziale. Das macht es oft schwer, Massenbewegungen von Parteien zu unterscheiden, auch und vor allem dort, wo an der Spitze der Parteiapparate charismatische Führer stehen – von Lenin bis Kreisky. Dennoch ist die Unterscheidung einfach: In Parteien gibt es internes Leben, gibt es Diskussionen und Auseinandersetzungen, Abgleiche von Interessen und Einflüssen, radikale und eher ausgleichende Stellungnahmen und was da mehr. Zwar zeigen auch Apparate, die den sozialen Bewegungen beigestellt werden, im Inneren verschieden Konkurrenzen um Interessen und Einflüsse; diese werden aber in aller Regel durch Entscheid des Führers geregelt – mit diktatorischen, auch militärischen Mitteln.

So weit, so schlecht, so weit auch bekannt. Allerdings feiert die Bewegung als politisches Phänomen wieder fröhliche Urstände und dies unter teilweise veränderten Vorzeichen. Die historische Linke der Zwischenkriegsjahre und danach hatte es noch als ein Merkmal bonapartistischer, caudillistischer oder faschistischer Politik angesehen, wenn Parteien in führergelenkte Massenbewegungen hineingezwungen werden sollten so ist die Situation heute eine grundlegend andere.

Grüne

In Österreich ist dieses Phänomen der Bewegungspolitik ebenso zu beobachten wie auch ihre linken Theoretisierungs- und Rechtfertigungsversuche, jüngst erst wieder in Diskussionen innerhalb der Grünenpartei und während eines Sammlungsversuchs der Linken namens Aufbruch: Dort wurde der so genannte Linkspopulismus angesprochen, den es für die Linke fruchtbar zu machen gelte. Man dürfe diese Art der Argumentation und Agitation nicht den Rechten überlassen, man müsse auch die Themen bearbeiten, die diese aufgreifen, wolle man nicht den Kontakt zum Volk verlieren. So etwa Peter Pilz im Interview mit der konservativen Zeitung „Die Presse“ vom 20 110 2015:

„In Zeiten, in denen die traditionellen Regierungen abgewählt werden und die EU an der Flüchtlingskrise scheitert, braucht es einen Gegenpol zur extremen Rechten. Sie ist die einzige Kraft, die das gemeinsame Europa zerstören kann.

(Frage) Was könnte eine populistische Linkspartei dem entgegensetzen?

Es ist eine politische Anomalie, dass es in Österreich keinen linken Gegenpol gibt. Wir Grünen sollten uns fragen, ob wir diese Aufgabe nicht übernehmen wollen. Da geht es nicht um altsozialistische Experimente. Sondern um Protestwähler.

(Frage) Welche Angebote sollten die Grünen diesen Wählern machen?

Wenn wir Leute, die von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind, zu einem Lichtermeer einladen, dann schütteln die den Kopf und sagen: Ihr habt uns nicht verstanden. Viele sagen mir: Ihr seid nur für die Ausländer da, aber nicht für uns. Das sind Hilferufe. Wir müssen auch unsere Ausländerpolitik ändern.“(http://diepresse.com/home/innenpolitik/4871143/Peter-Pilz_Ich-will-moeglichst-wenige-Fluechtlinge)

Dass dieser Kontakt mit dem Volk ein faschistischer wird, wird nicht angesprochen. Der Faschismusbegriff wird tabuisiert, der Verweis darauf, dass die Hinwendung zum unter einer Führerfigur integrierten Bewegung einen wesentlichen Charakterzug des Faschismus ausmacht, wird abgelehnt, da er die Einmaligkeit des Faschismus relativiere. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Eher werden die aktuellen Verwerfungen und Entwicklungen verharmlost, wenn rechtsradikal als rechtspopulistisch bezeichnet wird und die Linken sich von diesem Populismus eine Scheibe des Erfolgs abschneiden möchten.

FPÖ

Die FPÖ bezeichnet sich, ohne mit der Wimper zu zucken, als „soziale Heimatpartei“ und keinem fällt die Ähnlichkeit zu „national-sozialistisch“ auf. Auch das Parteileben entspricht schon Führerstrukturen; mit dem Generalsekretär und Mastermind Herbert Kickl und dem Aushängeschild und Parteivorsitzenden Heinz Christian Strache gibt es kaum innerparteiliche Auseinandersetzung. Konservativer sozialisierte Politiker wie Andreas Mölzer kritisieren, schon vom Abstellgleis aus, die FPÖ und ihre Führer deswegen. Sie verlangen ideologisch eindeutige Positionen und Agitationen.

Doch die FPÖ ist nicht die einzige, die auf den Bewegungszug aufspringt. Irmgrad Griess, eine ehemalige Höchstrichterin und Präsidentin des Obersten Gerichtshofs wurde – schon im Ruhestand – zur Leiterin einer Untersuchungskommission bestellt, die sich mit den Vorgängen um Verkauf, Pleite und staatliche Übernahme einer Bank befassen sollte. Sie erledigte diese Aufgabe korrekt, ohne auf ihre Auftraggeber aus der Regierung besonders Rücksicht zu nehmen. Dass in Österreich eine Aufgabe korrekt erledigt wird, ist offenbar auffällig genug, um für eine Führerposition in Frage zu kommen. Getragen von der Boulevardpresse kandidierte sie für das Amt des Bundespräsidenten und gilt bis heute als politische Hoffnung. Gleichzeitig zeigt sie, dass im Zeitalter der social media und des Boulevards es keiner Massenbasis auf der Straße für eine soziale Bewegung bedarf.

Griess vereinigt auf sich alle Merkmale der Bewegungsführerin: keine präzise politische Aussage außer dem Ressentiment gegen die herrschenden Verhältnisse (die – nota bene – nicht verändert, bloß wieder in ihre ursprüngliche Funktionalität gebracht werden sollen), das mit Charisma und dem Versprechen des Blauen vom Himmel bedient wird.

Haargenau dasselbe gilt auch für Sebastian Kurz, den designierten neuen Vorsitzende der österreichischen Christdemokraten, der Österreichischen Volkspartei, für die er als Außenminister in der Regierung sitzt.

ÖVP

Kurz stellte für seine Bereitschaft, den Vorsitz der ÖVP zu übernehmen (wofür er etwa zwei Jahre gegen die Parteiführung intrigiert und Unterstützung für sich gesammelt hat), die Bedingung, dass die Bundesorganisation (wohlgemerkt: nicht die Landespartein) in eine Bewegung umgewandelt würde: die Liste Sebastian Kurz – die neue ÖVP. Programm ist der Name und die Frisur des neuen Führers; die politischen Vorstellungen sollen im September, einen Monat vor der Wahl des Parlaments, der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Natürlich hat sich die Partei ein Hintertürchen offen gelassen. Ist er nicht erfolgreich, wird er gestürzt oder isoliert. Die Apparate der – gegenüber der Bundespartei relativ autonomen Teil- und Länderorganisationen – bleiben bestehen und von seinem Durchgriffsrecht unberührt. Sie sind nach wie vor regionaler und föderaler Machtapparat (so als hätte in Österreich jedes Bundesland seine eigene CSU). Aber ebenso unberührt davon kann ein erfolgreicher Führer Sebastian seine Bewegung gegen die zentrifugalen Kräfte der alten Partei in Stellung bringen. Vor allem dadurch, dass er Expertinnen und Fachleute als Quereinsteiger gegen die Parteibürokratie auf seine Liste setzt, sogar politisch korrekt im Reißverschluss – ein Mann, ein Weib, ein Herr, eine Dame; er nützt opportunistisch alles, was ihm Erfolg versprechen könnte. Irmgard Griss ziert sich noch …

SPÖ

Was tut die Linke, außer an ihrem extremen Rand von Linkspopulismus zu faseln? Der sozialdemokratische Bundeskanzler hat den Schritt zu Bewegung und Führerpose noch nicht vollständig beschritten. Das wird ihm als Zögern und als Verlust des Moment des Handelns, gemessen an Kurz und Strache, ausgelegt. Dabei waren seine Inszenierungen zur Verkündigung seines Regierungsprogramms nach seinem Amtsantritt von postmoderner Ästhetik und amerikanischer Perfektion geprägt – Inszenierungen, die den einen oder die andere in der Partei verstörten, weil sie nicht als Ergebnis eines parteiinternen Diskussionsprozesses gewertet werden konnten.

Sei's drum. Der politische Biograph des Kanzlers, übrigens ein ehemaliger Trotzkist der österreichischen Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale, wird ihm darüber hinweghelfen. Hat er doch schon verkündet, dass eine Koalition der SPÖ mit der FPÖ heutigentags anders zu bewerten sei als damals, im Jahr 2000, als ÖVP und FPÖ (unter Haider und Schüssel) die Regierung stellten. Der politische Biograph war damals einer der Organisatoren der regelmäßigen Demonstrationen gegen die Regierung.